Liebe Chantal, du bist nicht Mittelschicht

Liebe Chantal,

leider muss ich dir etwas sagen, was im ersten Moment sehr hart und verletzend klingt, aber es ist wirklich wichtig, dass du es weißt: Mittelschicht, das sind die Anderen.

Damit meine ich natürlich nicht dich als Person, sondern den wirtschaftlichen Status, den du mit deinem Einkommen einnimmst. Nach deinem Video für die SPÖ bist du ja in aller Munde. Leider hauptsächlich wegen deines Names, wodurch die Botschaft des Werbefilms etwas untergeht. Du arbeitest als Hilfskraft und verdienst anscheinend unter 1.500 Euro brutto im Monat. Ob Vollzeit oder Teilzeit wird dabei nicht gesagt. In jedem Fall aber klar zu wenig zum Leben.

Das Referenzbudget der Schuldnerberatung berechnet monatliche Ausgaben von 1.379 Euro für einen Singlehaushalt, um halbwegs über die Runden zu kommen. Darunter ist man von Armut betroffen. Darüber, also auch mit 1.400 oder 1.500 Euro netto im Monat ist man jemand, der an der Grenze zur Armut lebt. Von Mittelschicht kann nicht die Rede sein. Hier werden dir auch die 1.500 Euro brutto Mindestlohn, also 1.199 Euro netto im Monat nicht viel helfen. Dafür ist das Leben in Österreich schon viel zu teuer und ein so niedriger Mindestlohn nur ein Nachhinken hinter den Tatsachen des realen Lebens. Natürlich ist ein flächendeckender und branchenunabhängiger Mindestlohn wichtig, aber der muss für Menschen, die Vollzeit arbeiten so hoch liegen, dass man nicht an der Grenze zur Armut lebt.

Das wirklich Arge ist aber, dass Herr Bundeskanzler Kern und seine neue SPÖ, dich und alle Menschen die weniger als 1.200 Euro netto im Monat verdienen, als Mittelschicht bezeichnen. Das tun sie deswegen, weil Menschen, die glauben, dass sie Mittelschicht sind, weniger unzufrieden sind und damit weniger fordern. Die realen Probleme der Unterschicht, also jene die einfach einkommensmäßig nicht in der Mitte liegen, werden damit einfach wegignoriert. Es gibt nur mehr die, die auf der Straße leben, aber das sind so wenige, dass das nicht so schlimm ist, darüber beginnt sofort die Mittelschicht und dann gibt es noch ein paar Reiche. Schöne heile, komplett unreale Welt, in der du nicht lebst, liebe Chantal.

Vor ein bis zwei Jahrzehnten hätten wir beide über all das noch gar nicht diskutieren und auch nicht so viele Zahlen auf den Tisch werfen müssen. Da war noch klar, dass Ärzte, Rechtsanwälte, oder höhere Beamte Mittelschicht und dass du, liebe Chantal, so wie alle Arbeiter und die meisten Angestellten, das nicht sind. Wenn deine Waschmaschine kaputt geht und das ein finanzielles Problem darstellt, gehörst du nicht zur Mittelschicht. Wenn du dir nur alle paar Jahre einen kleinen Urlaub leisten kannst, gehörst du nicht zur Mittelschicht. Und wenn du dir deine Zähne nicht richten lassen kannst, gehörst du auch nicht zur Mittelschicht.

Liebe Chantal und alle anderen, die ebenso jeden Monat nur knapp über die Runden kommen, genauso wie die, bei denen es zwar nicht ganz so knapp, aber auch nicht viel mehr drinnen ist. Wir alle gehören zusammen und dürfen uns nicht Wohlstand, den wir bewiesener Maßen nicht haben, einreden lassen.

Liebe Grüße,

Dein Fayad

Autor: Fayad Mulla

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