Der Arme ist Dein Bruder

Blogeintrag von Ronny Mitterhofer

Der Brief, dem dies entnommen ist, wurde von Martin Luther King Jr. als Rechtfertigung und Gegenangriff geschrieben, weil ihn Kirchenvertreter dafür kritisierten, als Fremder für solch einen Aufruhr in ihrer schönen Stadt zu sorgen. Er fand große Verbreitung in den 1960er Jahren und spielte im Civil Rights Movement eine starke Rolle. Untertitel: „The Negro is your brother“

Ich übernahm die Struktur fast zur Gänze und tauschte Spiritualität/Gott gegen Wandel, Kirche gegen SPÖ sowie Aufhebung der Rassentrennung gegen gerechte Verteilung. Bis auf ein paar von mir eingefügte, konkrete Begebenheiten bzw. Aktualisierungen ist sonst alles Original.


Ich wurde von der SPÖ und ihrer Führungsspitze enttäuscht. Natürlich gibt es erwähnenswerte Ausnahmen. Ich bin mir bewusst, dass in der sozialen Frage wohl jedes einzelne Parteimitglied schon etwas bewegt hat. Es ist ein schönes Zeichen, nun wieder für sozialen Wohnbau in Wien einzutreten. Auch möchte ich die SPÖ-Spitze in Wien explizit dafür loben, der berüchtigten Maschinerie des kleinen Glücksspiels das Handwerk gelegt zu haben, die Leid über so viele arme Menschen brachte.

Aber trotz dieser bemerkenswerten Ausnahmen muss ich hier meine ehrliche Enttäuschung über die SPÖ zum Ausdruck bringen. Ich bin nicht einer dieser negativen Kritiker, die immer etwas an der großen, alten, sozialistischen, sozialdemokratischen Partei auszusetzen haben. Ich spreche als Agent des Wandels, der den sozialdemokratischen Weg zu denken liebt, an dessen Brust ich aufwuchs, dessen Segnungen mich erhielten, und der ich dieser Denkweise so lange treu bleiben werde, wie mein Lebensfaden reicht.

Ich hatte das seltsame Gefühl, als ich mich plötzlich an der Spitze des Protestes rund um den Ballhausplatz in Wien im letzten Jahr wiederfand, dass wir mit Unterstützung von Teilen der SPÖ rechnen konnten. Ich fühlte, dass die Sektion 8 und andere besorgte Mitglieder zu unseren stärksten Verbündeten gehören würden. Es war beinahe das Gegenteil der Fall: manche waren offene Gegner, weigerten sich die Bewegung rund um Europa Anders zu verstehen und haben ihre Spitze angegriffen; viel zu viele andere waren lieber vorsichtig als mutig und blieben still hinter der betäubenden Sicherheit ihrer Panzerglasscheiben.

Mir fehlt es schon seit langem, SPÖ Vertreter_innen sagen zu hören, dass die gerechte Verteilung moralisch richtig und der arme Mensch unser Bruder ist. Inmitten himmelschreiender Ungerechtigkeiten den Armen gegenüber beobachte ich die SPÖ, abwartend an der Seitenlinie, wie sie es gerade einmal schafft, Irrelevantes oder Triviales von sich zu geben. Inmitten des riesigen Kampfes gegen die Ungleichheit in unserer Gesellschaft höre ich so viele ihrer Meinungsführer sagen „das sind soziale Entwicklungen, gegen welche Politiker nichts machen können“. Ich habe so viele „linke“ Parteien erlebt, die sich dieser komplett jenseitigen Religion verschreiben, die nach Wirtschaftswachstum schreit, als einziges Mittel um Arbeitsplätze und damit Wohlstand zu schaffen.

Es gab eine Zeit, da war die SPÖ sehr mächtig. Die frühen Sozialisten freuten sich, wenn sie sich aufmachten um für das, woran sie glaubten, zu kämpfen. Selbst wenn dies eigenes Leiden bedeutete. In diesen Tagen war die SPÖ kein bloßes Thermometer, das die Ideen und Prinzipien von populären Meinungen anzeigte; sie war der Thermostat, der die Werte der Gesellschaft vorgab. Wo immer die frühen Sozialisten in politische Vertretungen gewählt wurden, wurde die Machtstruktur erschüttert und ihnen wurde die Gefährdung des sozialen Friedens vorgeworfen. Aber sie blieben Ihrer Überzeugung, einen Wandel herbeiführen zu müssen, treu anstatt einfach aufzuhören. Sie waren gering an der Zahl doch voller Überzeugung. Sie waren zu berauscht vom Wandel als dass man sie hätte einschüchtern können. Sie beendeten die alten Übel der Finanzoligarchie und der Ausbeutung.

Die Dinge sind nun anders. Die derzeitige SPÖ ist oftmals eine schwache, wirkungslose Stimme mit unsicherem Klang. Sie ist so oft die Hauptstütze des Status Quo. Weit davon entfernt, von der Präsenz der SPÖ gestört zu werden, sind die Machtstrukturen oftmals von der SPÖ abgesegnet.

Aber der Hauch des Wandels ist wie nie zuvor im Nacken der SPÖ. Wenn sie es nicht schafft, den Geist ihrer Ursprünge wiederzubeleben, wird sie ihre Authentizität völlig verlieren. Genauso wie die Loyalität von immer noch Hunderttausenden. Sie wird als irrelevanter Sozialklub mit keiner Bedeutung für das 21. Jahrhundert fortgeschickt. Ich treffe jeden Tag junge Menschen, deren Enttäuschung über die SPÖ sich zu offenem Ekel gesteigert hat.

Ich hoffe, die SPÖ als ganze wird sich der Herausforderung dieser entscheidenden Stunde stellen. Aber selbst wenn sie dies nicht schafft, bin ich nicht über die Zukunft verzweifelt. Ich habe keine Angst vor dem Ausgang unseres gemeinsamen Kampfes für soziale Gerechtigkeit, auch wenn unsere Motive derzeit als Neid missverstanden werden. Wir werden unser Ziel der Freiheit erreichen, denn es ist das Ziel dieses, unseres Landes Österreich. Wie missbraucht und verhöhnt wir auch sein mögen, unser Schicksal ist mit dem von Österreich verbunden. Bevor Figl vom Balkon des Belvedere erklärte „Österreich ist frei“ waren wir hier. Bevor die Habsburger den ganzen Kontinent beherrschten waren wir hier. Hunderte Jahre lang haben unsere Vorväter in Armut geschuftet; sie haben das Salz aus den Bergen von Hallstadt gekratzt; sie haben die Paläste und Kirchen ihrer Herrscher inmitten brutalster Ungerechtigkeiten errichtet – und dennoch schöpfen wir aus einer grenzenlosen Kraft um unsere Entwicklung und unseren Erfolg fortzusetzen. Wenn die unvorstellbaren Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs uns nicht stoppen konnten, wird der Widerstand, dem wir nun gegenüber stehen, mit Sicherheit scheitern. Wir werden die Freiheit gewinnen, weil die Geschichte unseres Landes und der niemals stillstehende Wandel auf unserer Seite sind.

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